Rede der Bürgermeisterin zum Volkstrauertag 2015
Sehr geehrte Damen und Herren,
durch Flucht oder Vertreibung die Heimat zu verlieren ist ein Erlebnis, das sich wohl kaum wirklich verarbeiten lässt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Millionen Menschen mit diesem Schicksal konfrontiert. Diese Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, sie mussten alles zurücklassen, haben unmenschliche Strapazen auf sich genommen und alles nur mit Hoffnung im Herzen. Der Hoffnung das unbekannte Ziel lebend zu erreichen und der Hoffnung wieder eine Heimat zu finden.
Die Menschen, die nach dem zweiten Weltkrieg eine Heimat suchten, haben diese sicherlich gefunden. Ein paar davon sind unter uns.
Nach langen anstrengenden Märschen kamen sie in die jeweiligen Orte, sie wurden bei Familien, in freie Räume, eingewiesen. Ganze Familien in ein oder zwei Räumen. Gemeinsame Nutzung von Küche und Bad mit den Eigentümern oder Mietern war oft die Regel. Nicht immer zur reinen Freude der Betroffenen.
Wir kennen die Bilder aus Dokumentationen dieser Zeit, alte Filmaufnahmen. Lange Schlangen von Menschen und Wagen, die sich fortbewegten einer ungewissen Zukunft entgegen. Mit Ängsten und traumatischen Erlebnissen im Gepäck.
Die heutigen Bilder im Fernsehen unterscheiden sich nicht so sonderlich zu denen von vor vielen Jahren. Auch heute verlieren Hunderttausende Menschen aus Afrika, dem Nahen Osten und auch aus Europa ihre Wurzeln.
Sie sind auf der Flucht und suchen nach einem Land, in dem sie sicher, frei und selbstbestimmt leben können.
Die Bilder heute sind in Farbe, die Menschen haben oft eine dunklere Hautfarbe und Viele auch einen anderen Glauben. Und es kommen richtig Viele. Die Zahlen, die genannt werden sind kaum zu greifen und natürlich fragen wir uns, wo das noch alles hinführen soll.
Wo sollen die Menschen leben? Wie sollen wir das bewältigen?
Diese und viele andere unbeantwortete Fragen sorgen bei uns für Mistrauen, Ängste und Befürchtungen. Das ist menschlich und nachvollziehbar.
Und dann noch die ständigen Darstellung der Situation in den Nachrichten und den Printmedien. Nicht sehr vertrauenserweckend, eher abstoßend und zweifelnd.
Trotzdem oder gerade deswegen sage ich: es geht hier um Menschen und es ist unsere moralische und humanitäre Pflicht, ihnen eine Chance einzuräumen. Ihnen die Möglichkeit zu geben hier bei uns und mit uns in Frieden zu leben, hier eine neue Heimat zu finden.
Letzteres ist sicher für jeden von Ihnen das größere Problem, denn keiner gibt das, was wir Heimat nennen gern und freiwillig auf. Das können wir uns für uns selbst kaum vorstellen.
Ich möchte mein Mainhausen, meine Gemeinde und meine Heimat auch nicht verlassen. Das tun zu müssen, will und kann ich mir nicht vorstellen.
Das kann nur jemand nachvollziehen, der es erlebt hat. Der seine Heimat aufgeben musste, seine Familie und Freunde. Der weiß, wie schwer es ist, an einem fremden Ort neu anzufangen. Vor allem wenn man dann noch auf die Hilfe und Unterstützung fremder Menschen angewiesen ist.
Noch schwerer ist es dann, wenn man die Sprache nicht kann und mit den alltäglichen Regeln nicht vertraut ist. Aber es geht, das wissen wir alle.
Wer hätte damals, so kurz nach dem 2. Weltkrieg, gedacht, dass aus den damaligen Flüchtlingskindern unsere Nachbarn und Freunde werden; unsere Handwerker und Arbeiter, unsere Vertreter in politischen Gremien, unsere Krankenschwestern und Ärzte, unsere Vertreter in den Personal- und Betriebsräten, unsere Vereinskameraden und vieles mehr.
Am Volkstrauertag gedenken wir der Opfer von Krieg und Gewalt. Wir erinnern an das Leid, dass Kriege uns bringen und an die Sinnlosigkeit.
„Fünf große Feinde des Friedens wohnen in uns: nämlich Habgier, Ehrgeiz, Neid, Wut und Stolz. Wenn diese Feinde vertrieben werden könnten, würden wir zweifellos ewigen Frieden genießen.“ Das wusste schon im 14. Jahrhundert ein italienischer Dichter und Gelehrter.
Wir hier werden die Kriege dieser Welt nicht beenden können – leider.
Aber wir können etwas anderes tun, jeder für sich und jeder mit anderen.
Wir können versuchen unsere Befürchtungen, unser Mistrauen, ja unsere Ängste beiseite zu schieben, um offen auf die Menschen zuzugehen, die heute zu uns kommen, mit ihren Hoffnungen und Träumen.
Ein freundliches Lächeln, ein Wort des Grußes und eine gutgemeinte Geste wirken Wunder. reißen Mauern nieder, ebnen Wege und schaffen ein gutes Miteinander. Ein Miteinander, das wir uns alle wünschen und zu dem wir unseren Teil beitragen können.
Ich bin dazu bereit!